4. Mai 2013

3. Mai 2013

Illusorisch sein.

Originalbild: Ideoda
Es war nicht Liebe auf den ersten Blick. Es war die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Einem Leben im Luxus. Dem Luxus, den es in ihrer Heimat nicht gibt. Sie träumte von einem Leben mit sauberem Trinkwasser, ohne anhaltendem Hungergefühl und einem wärmenden Bett. Er war zuvorkommend, lud sie zum Essen ein und erzählte ihr vom Leben in seiner Heimat. Von den Möglichkeiten die in 10'683 km Entfernung auf sie warten würden. Noch bevor das Flugzeug den Himmel über ihrem Land verliess und noch bevor es ihr unbekannte Länder überflog, zweifelte sie zum ersten Mal an ihrer Entscheidung. Selbst der Ring, den sie nun beide tragen, konnte ihr in diesem Moment keine Sicherheit bieten. Sie liess ihre Heimat hinter sich, um in der Ferne ein Leben zu leben, von dem sie so gut wie nichts wusste. Später wusste sie ebenfalls nicht, zu welchem Zweck sie solche Kleider tragen musste. Ebenso verstand sie nicht, weshalb er sie morgens nicht mehr mit dem selben Lächeln wie in ihrer Heimat begrüsste und wieso die Freundlichkeit schon bald ganz dahinschwand. Eines Abends gingen sie in dieses Haus. Hier befände sich ihr neuer Arbeitsplatz. Er zeigte ihr das Zimmer. Es war kalt. Dunkel. Spärlich eingerichtet mit einem Bett und einem Stuhl. Das Zimmer lag im dritten Stock, die Fenster waren mit Gittern versehen. Sie wussten wieso. Eine Dusche gab es am Ende des Korridors. Dann liess er sie alleine. Ihr erster Kunde roch nach Zigarre und Whiskey. Er keuchte und schwitze, krallte sich mit seinen Fingern in ihre Haut. Er stöhnte Dinge in ihr Ohr, die sie nicht verstand. Und er lächelte dabei. Die Abende und Nächte verliefen in erdrückender Monotonie. Nur die Tage erfuhren eine Variation. Es gab Tage, an denen er sie in Ruhe liess, sie mit kochen, putzen und dem Zählen der Stunden bis zum Abend verbrachte. Nach draussen durfte sie nicht. Diese Tage zählte sie zu den Guten. An all den Anderen, welche weitaus häufiger vorkamen, forderte er seine Rechte als Ehemann ein und liess sie seine Pflichten als Arbeitgeber spüren. Bei unter sechs Kunden in der vergangenen Nacht war seine Pflichterfüllung als akkurater Unternehmer noch Tage später sichtbar. Doch sie, sie kannte ihre Rechte nicht. Nur ihre Pflichten. Und sie wusste ebenfalls, was mit ihrer Familie passieren würde, falls sie sich zum Gehen entschloss. Sie blieb. Und behielt die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Ihr blieb nur eine zerknitterte Postkarte von ihrer Heimat. Und die Illusion von einem Traum.