30. Januar 2013

Schuldig sein.

Schuldig! In allen Anklagepunkten. Einen Anwalt konnte sie sich nicht leisten. Doch die Pflichtverteidiger richten ihr Möglichstes - nach bestem Wissen und Gewissen. Die Geschworenen erkennen die Reue. Die Verfehlung. Lassen aber auch die Liebe, die Hoffnung und die Angst als Beweismittel zu. Dafür gerade stehen, auch wenn das Stehen gerade nicht einfach ist. Freigesprochen werden.

25. Januar 2013

Gut sein. Schlecht sein.

«Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen.» Doch wer entscheidet über gut und schlecht. Wenn eine Mutter, die sich aktiv für Menschenrechte und die Rechte der Frauen in einem Land einsetzte oder minderjährige Straftäter vor dem Tod bewahren wollte zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt wird. Wenn Kinder von sogenannten Heiligen missbraucht werden und unbestraft bleiben. Wenn die freie Meinungsäusserung mit Gewalt und Gefängniss beantwortet wird. Und auch, wenn Asylsuchende ohne Lebensperspektiven im eigenen Land abgeschoben werden. Der Kropf ist unlängst voll. Nur sind Kropf und Topf vertauscht worden. Die vermeintlich Schlechten sind in Wahrheit die Guten. Und die anderen, die besitzen zu viel Macht um verschlungen zu werden. 

21. Januar 2013

Zweifellos sein.

Ständiges Ringen um Antworten, dort, wo es keine geben kann. Fragen, die unbeantwortet bleiben und nur durch die Zeit ihre Klärung finden werden. Vielleicht sollten wir aufhören, uns Fragen zu stellen. Vielleicht sollten wir nicht auf erlösende Antworten hoffen. Vielleicht sind die Fragen und Antworten einfach nicht genug wichtig. Vielleicht sollten wir Leben. Zweifellos.

18. Januar 2013

Gefangen genommen sein.


Er steht draussen vor der Tür, einsam im Schnee. Einst hat er die vorbeigehenden Menschen zum Staunen gebracht. Ihnen ein Lächeln entlockt. Sie stumm daran erinnert, wie einfach es ist zu lieben. Nur gegen den fallenden Schnee konnte er sich nicht wehren. Er bedeckte ihn mit einem kalten Mantel, der ihn nun gefangen nimmt. Nur vereinzelt lassen sich seine Konturen noch erkennen. Ich würde ihn gerne fragen, was geschehen ist. Doch er bleibt stumm. Und eigentlich kenne ich die Antwort bereits. Es hat geschneit. Er wurde eingeschneit. Ich stehe lange vor dem Schneemann, da draussen vor der Tür. Bewegungslos. Regungslos. Ich möchte nicht warten, bis die Wärme den Schnee schmelzen lässt, denn dann ist es zu spät. Er wäre weg. Ich nehme einen Besen und wisch ihm die Kälte aus dem Gesicht. Vom Körper. Bis er wieder da steht, wie er einst war. So, wie er die vorbeigehenden Menschen zum Staunen gebracht hat. So, wie er wirklich war.

Fehlend sein.

Sie geht ein letztes Mal durch die leere Wohnung. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr der Abschied so einfach fallen würde. Selbst die mit Erinnerungen gefüllten Müllsäcke lösen nur wenig Wehmut aus. All die Dinge, die sich darin verstecken waren Teil ihres Lebens und nun verlässt sie mit nur einem Koffer dieses Leben. Sie hat spät gemerkt, dass sich wertvolle Dinge nicht in ein Bücherregal stellen lassen. In ihrem Koffer fehlen sie auch. Sie fehlen überall.

16. Januar 2013

Verdeckt sein.

Am Himmel ein graues Gemälde. Nebel verdeckt die Sicht. Das spärliche Licht der Sonne vermag die Nebeldecke kaum durchbrechen. Wir warten, bis sie sich den Weg frei macht. Bis sie endlich Licht ins Dunkle bringt. Doch es geschieht nichts. Der Nebel wird dichter. Ein orientierungsloser Lauf beginnt. Wir irren blindlings durch die Strassen und an jeder Ecke lauert ein Abgrund. Wir senken den Blick, damit wir die das fehlende Licht nicht sehen müssen. Stolpern, fallen hin. Bleiben liegen. Und sehen nicht, dass sich der Nebel lichtet. Es bleibt dunkel - in uns.

14. Januar 2013

Entschwunden sein.

Rauch steigt in den Himmel, entflieht dem ihm umhüllenden Schutz. Er vermengt sich mit dem kalten Nebel bis sich schlussendlich keine Differenzen mehr ausmachen lassen. Was einmal für Wärme gesorgt hat, wird kalt. Unaufhaltsam. Nichts bleibt mehr übrig.

Entstellt ein.

Er trägt sie schon lange, beinahe sein ganzes Leben. Ein Leben, das nicht sein eigenes ist. Doch er verkörpert seine Rolle gut, selbst wenn er den Film, den er spielt, nicht sonderlich mag. Immer wieder hört er die Stimme seiner Mutter, die ihn ermahnt: «Zeig nie dein wahres Gesicht. Es würde dich verletzlich machen und du würdest nur daran zerbrechen.» Er hat sich daran gehalten, bis zum heutigen Tag. Sie hatte recht, er wurde selten verletzt. Zumindest nicht von anderen. Nur die Einsamkeit und die Leere hinterliessen tiefe Wunden. Den Moment, um die Maske für immer abzulegen hat er verstreichen lassen. Sein Gesicht ist unlängst entstellt. Er erkennt sich nicht mehr, alles ist ihm fremd. Er ist nicht mehr. Nichts ist mehr. Nur noch die Scherben erinnern an seine Existenz. Sie lassen ihn verbluten.

11. Januar 2013

Schlaflos sein.

Originalbild: Rick Powell
Einfach aufwachen und alles ist gut. Wie aufwachen, wenn sie nicht einschlafen kann. Und wie einschlafen, wenn sich die Angst, er könnte morgens nicht mehr neben ihr liegen, wie eine Überdosis Kokain in ihrem ganzen Körper einnistet. Sie ist müde.

10. Januar 2013

Leer sein.

An den Bahnhaltestellen herrscht reges Treiben. Norbert kommt beinahe täglich hierher. Er scheint, als sei er gerne unter Menschen. Heute steigt er in den Zug und kann sich gerade noch einen Platz in der Mitte ergattern. Von hier hat er den besten Überblick, um die Menschenmenge zu beobachten. Jene, die ein- und aussteigen. Die, die sich hinter ihren Zeitungen verstecken. Und auch die, die mit leeren Blicken aus dem Fenster schauen. Kinder hat es um diese Zeit selten in der Bahn. Nur vereinzelt sieht er angespannte Mütter mit ihren Kleinkinder, die wohl gerade auf dem Weg zur Arbeit - mit Zwischenhalt in einer Krippe - sind. Die Kinder reiben sich ihre müden Augen. Norbert war nie in einer Krippe. Er hatte auch nicht wirklich eine Mutter. Auch wenn die Frau, die ihm das Essen jeweils auf den Tisch gestellt hat wollte, dass er sie so nannte. Am Tisch hat sie selten gesessen. Sie war ihm fremd. Sie kam ihm kaum einmal so nah, dass er ihren Geruch wahrnehmen konnte. Er wusste nicht einmal, ob er sie mochte. Sie war einfach da. Und auf einmal war sie dann weg. Weg, wie alle Menschen in seinem Leben. Sie kamen und gingen wieder. Wie die Stationen dieses Zuges. Sie ziehen einfach vorbei. Die Menschen, die beim Einfahren in den Bahnhof grösser werden und ihm so näher kommen. Doch auch nur für einen Moment, denn schon im nächsten werden sie wieder kleiner und schon bald verschwinden sie ganz aus seinem Blickfeld. Sein Blick bleibt immer wieder an einzelnen Fahrgästen hängen. Es gibt die, die nur eine Station bleiben, andere fahren weiter. Norbert würde manche von ihnen gerne ansprechen und ihre Geschichte hören. Bestimmt aber nicht seine erzählen. Doch aufdringlich sein möchte er keinesfalls. Wollte er nie. Und was er noch viel weniger möchte ist, seine Illusionen zerplatzen zu lassen. Die junge Frau gleich gegenüber von ihm. Sie könnte Tänzerin sein. Sie wirkt zerbrechlich und zugleich stark. Sie möchte perfekt sein in allem was sie tut. Sie lebt ihren Traum. Doch sie würde ihm vielleicht auch ganz andere Dinge erzählen. Vom Alltag, der Routine. Von Dingen, die er nicht hören möchte. Oder vielleicht würde sie gar nichts erzählen. Ihm deutlich machen, dass er nicht erwünscht ist. Er kennt diesen Blick. Lieber bleibt er alleine. Ins Leben einzutauchen ist ihm zu gefährlich. Die Irrungen und Wirrungen. Die Verletzungen und Verluste. Etwas anderes kennt er nicht. Den letzten Fahrgast, der den Zug verlässt kennt er auch nicht. Norbert ist wieder alleine. Der Zug nähert sich dem Depot. Die Lichter erlöschen. Es wird dunkel. Die Angst ist vorbei.

9. Januar 2013

Ganz sein.

Du bist, was du bist, so heisst es. Du bist Mensch.
Du lässt dich nicht öffnen;  kein Skalpell gewährt den Blick auf deine Seele. Und wenn doch. Was würden wir sehen? Deine Gefühle, die Erinnerungen. All die alten Verletzungen und die, die noch immer bluten. Dein Leben. Dein Lachen, dein Weinen. Die schwarzen Flecken, die deine Haut so gut zu kaschieren weiss. Die Hülle, die selbst die dunkelsten Stellen in einem atemberaubenden Glanz erscheinen lassen. Von aussen betrachtet.
Die Vielfalt in dir. Das Ganze. Die Summe von allem. Und mehr. Berechnet wird immer wieder aufs Neue. Gestern noch König, heute schon Bettler. Und die Rechnung machst du nicht alleine. Alle wollen etwas beisteuern. Gütig wie sie sind. Die Mutter, der Lehrer, der böse Onkel, die Regierung, der Nachbar. Und am Schluss weisst du nicht mehr, woher all die Teilchen, von denen du die Summe bist, kommen. Du weisst nicht mehr, wer du bist, was du bist. Denn eigentlich bist du weitaus mehr, als die Summe deiner Teile. Du bist Mensch.

Luftlos sein.

Die Tür fällt ins Schloss; er ist zu Hause. Ein zu Hause, das weit mehr ist als nur die Wände, Decken und Möbel. Es ist das Daheim nach dem er sich lange gesehnt hat. Er weiss, dass er zuviel arbeitet, dass er in letzter Zeit vieles vernachlässigt hat. Und er ist froh, dass seine Frau keinen Druck auf ihn ausübt. Es ist immer alles in Ordnung. Hier, in seinem Daheim. Er streift seine Schuhe ab und lauscht der Stille. Die Kinder sind noch in der Schule. Was eben noch eine Annahme war, bestätigt sich mit dem Erklingen von sanften Tönen. Seine Frau liegt derweil in der Wanne und singt. Sie hat ihn kaum so früh erwartet. Und er kann es seinerseits kaum erwarten sie zu sehen. Er fühlt die Wärme des Wassers. Ihre Haut. Nur der Weg in die Küche, wo der Rotwein steht, trennt ihn vor seiner Phantasie. Auf dem Küchentisch steht ein Weinglas; halbleer. Und vor ihm liegt ein Brief.
«Ich mag, wie du mich anschaust. Dein Blick erzeugt in mir das Gefühl der Vollkommenheit. In deiner Gegenwart fühle ich mich attraktiv, interessant, einzigartig. Du verstehst es mich lebendig fühlen zu lassen. Ich mag, wie du über mein Haar streichst. Deine Hände auf meinem Körper erfüllen mich mit Wärme. Ich liebe es, dir beim Schlafen zuzusehen und mich eng an dich zu schmiegen. Mich schlafend zu stellen, während du mich verführst ist eines der schönsten Spiele überhaupt. Ich begehre dich so sehr. Und danke dir für jeden Moment, in dem du dein Begehren mir gegenüber zeigst. Dich in mir zu spüren haucht meinem Körper Leben ein. Ich mag es, wenn du mir Kaffee kochst. Und wenn wir barfuss durchs feuchte Gras gehen. Ich mag so vieles an, mit und wegen dir. Mit dir Fahrradfahren und dabei meine Arme auszustrecken. Weisst du eigentlich, wie glücklich ich mich dabei jeweils fühle? Nein, du kannst es nicht wissen, aber glaub mir, es ist raubt mir den Atem. Du raubst mir den Atem (...)».
Er lässt den Brief fallen,  zieht seine Schuhe an und geht. Sein Fahrrad steht in der Garage. Und seit über zehn Jahren ist die Luft raus. Endgültig.

7. Januar 2013

Grundsätzlich sein.















«Weisst du eigentlich, wie lieb ich dich hab?»
«Nein, woher soll ich das wissen. Wie denn?»
«Nun, grundsätzlich sehr.»
«Was meinst du denn mit grundsätzlich?»
«Na, dass ich dich im Grunde sehr lieb habe.»
«Du hast also deine Gründe, wieso du mich lieb hast?»
«Ja, die habe ich gewiss.»
«Und du wirst mir gleich verraten, welches diese Gründe sind?»
«Eben, die Grundsätzlichen.»
«Und die Anderen?»
«Die anderen was?»
«Die anderen Gründe.»
«Aufgrund der anderen Dinge habe ich dich eben grundsätzlich nicht lieb.»
«Du magst mich also nicht grundlos nicht?»
«Nein, gewiss nicht. Ich habe meine Gründe.»
«Welche denn?»
«Gute.»
«Und aus welchem Grund erzählst du  mir das alles?»
«Weil ich dich eben nur grundsätzlich lieb hab. Ich verlass dich also nicht grundlos.»
«Nein, du hast deine Gründe.»
«Ja, die habe ich.»
«Ja, die hast du.»
«Ja. Und selbst wenn nicht. Du weisst ja nicht einmal, wie lieb ich dich hab. Wie soll ich dich denn da grundsätzlich lieb haben können?»
«Immer diese Grundsatzfragen. Im Grunde mag ich dich ja auch nicht.»
«Ist das so?»
«Ja!»
«Gut.»
«Ja, gut.»
«Grundsätzlich gut, ja.»

4. Januar 2013

Distanziert sein.

Originalbild: T. Malyska
Sie sagt, was sie nicht mag.  Er hört, dass sie ihn nicht mag. Sie sagt, was sie sich wünscht. Er  hört, was er ihr nicht geben kann. Sie sagt, was sie glücklich macht. Er hört, dass er sie nicht glücklich macht. Sie möchte reden. Er schweigen. Sie möchte verstehen. Die Dinge und Undinge, die hinter und neben ihnen liegen. Verstehen, um sie nicht auch vor ihnen liegen sehen zu müssen. Um sie Ruhen zu lassen. Er möchte nur weitergehen. Er geht weiter. Alleine. Die Distanz  zwischen ihnen wird aber dadurch nicht grösser. Sie bleibt gross.